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Rechtsmittel 3

1.7. Leitsätze des OVG zum Verfahren der aufschiebenden Wirkung

Mit Beschluß vom 23.04.98 (AZ: 4 EO 6/97) hat das OVG Thüringen Leitsätze für das Verfahren nach § 80 (5) VwGO (Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung) aufgestellt. Im einzelnen hat das OVG entschieden:

 “Zum gerichtlichen Prüfumfang in abgabenrechtlichen Eilverfahren: Ernste Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheides können sich im Eilverfahren auch aus sich aufdrängenden Satzungsmängeln der zugrundeliegenden kommunalen Abgabensatzung ergeben. Die Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung müssen jedoch so offensichtlich und eindeutig sein, daß im Hauptsacheverfahren eine andere rechtliche Beurteilung nicht zu erwarten ist. Eine Klärung offener Fragen zur Gültigkeit der jeweiligen Abgabensatzung kann nicht Aufgabe des Eilverfahrens sein. Entsprechend ist in einem Eilverfahren eine abgabenrechtliche Gebührenkalkulation regelmäßig nicht näher zu prüfen.”

 Für die Ausübung des richterlichen Ermessens bei der Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen gemäß § 80 (5) VwGO legte das OVG in Abgabensachen folgende Grundsätze zugrunde: 

1.   Bei der Erhebung öffentlicher Abgaben und Kosten im Sinne des § 80 (2) Nr. 1 VwGO ist die aufschiebende Wirkung von Widersprüchen und Klagen gesetzlich ausgeschlossen. Damit hat der Gesetzgeber das öffentliche Interesse an einem sofortigen Vollzug generell höher bewertet als das private Interesse an einer vorläufigen Befreiung von der Leistungspflicht. Er hat zudem durch § 80 (4) Satz 3 VwGO zum Ausdruck gebracht, daß Abgaben im Zweifel zunächst zu erbringen sind und der Zahlungspflichtige das Risiko zu tragen hat, im Ergebnis möglicherweise zu Unrecht in Vorleistung treten zu müssen. Diese gesetzgeberische Wertung ist auch bei der gerichtlichen Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen.

2.   Im Falle der Erhebung öffentlicher Abgaben und Kosten kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage deshalb regelmäßig nur in Betracht, wenn entsprechend § 89 (4) Satz 3 VwGO ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder die Vollziehung für den Abgaben- und Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegend öffentliche Interessen gebotenen Härte zur Folge hätte.

3.   Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen vor, wenn aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Mißerfolg.

 

Das OVG Thüringen schließt sich damit der einheitlichen Rechtsprechung der OVG/VG in Abgabensachen an. Die gerichtliche Prüfung im Eilverfahren darf deshalb nicht die für das Hauptsacheverfahren geltenden Maßstäbe anlegen, sondern muß dem summarischen Charakter des Eilverfahrens Rechnung tragen.

Dementsprechend sind Gegenstand der Rechtmäßigkeitsprüfung durch das Gericht nach § 80 (5) Satz 1 i.V. mit Absatz 4 Satz 3 VwGO:

·         in erster Linie der Abgabenbescheid selbst und

·         die ihm bei summarischer Prüfung offensichtlich anhaftenden Fehler.

 In diesem Zusammenhang kommt in der Regel weder eine abschließende Klärung grundsätzlicher und schwieriger Rechtsfragen noch eine aufwendige Klärung von Tatsachen in Betracht, die grundsätzliche dem sich anschließenden Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben sollen.

In der Regel wird im Rahmen des Eilverfahrens von der Gültigkeit der einem Abgabebescheid zugrundeliegenden Abgabensatzung auszugehen sein (vergl. Beschluß ThürOVG vom 17.07.97, AZ: 2 ZEO 252/97). Fragen der Definition des Anlagebegriffs und der Gebühren-/Beitragskalkulation sind nach Ansicht des ThürOVG nicht im Rahmen des Eilverfahrens zu klären. Die Klärung dieser Fragen obliegt dem Hauptsacheverfahren. Dies bezieht sich u.a. sowohl auf die in der Rechtsprechung umstrittene rechtliche Frage, ob bei der Beschlußfassung einer Gebührensatzung bereits eine hinreichende Kalkulation vorliegen muß oder noch “nachgeschoben” werden kann (vergl. Driehaus, Kommunalabgabenrecht; Rn 68ff zu § 6 KAG) als auch auf die Überprüfung der Gebührenkalkulation selbst durch Sichtung und Bewertung der dazu vorzulegenden umfangreichen Unterlagen.

Dieser Beschluß des ThürOVG hat weitreichende Folgen für die Rechtsmittelverfahren im Abgabenrecht in Thüringen. Vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 (5) VwGO wird es für die Gebühren- und Beitragsschuldner in Thüringen kaum noch geben. Die Betroffenen werden also erst einmal zahlen müssen und erst im Hauptsacheverfahren erfolgt die Klärung der Rechtmäßigkeit der kommunalabgabenrechtlichen Forderung.

Folgt man der Begründung des ThürOVG, so muß man feststellen, daß künftig das Eilverfahren in Abgabenangelegenheiten nach § 80 (5) VwGO für die zu Gebühren und Beiträgen herangezogenen Bürgern den von Gesetzes wegen eingeräumten Schutzzweck verlieren wird, da offensichtlich überragender Maßstab für diese Verfahrensart die “Sicherstellung der Finanzkraft der öffentlichen Haushalte” sein wird und dahinter das private Interesse der Gebühren-/Beitragspflichtigen zurücktreten soll.

Unabhängig davon, daß diese Auffassung des ThürOVG von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes im Eilverfahren teilweise nicht getragen wird (vergl. BVerwG, DVBl. 82,422), begegnet eine solche Auffassung im übrigen erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken. Bedenklich ist zunächst die offensichtlich undifferenzierte Herangehensweise des ThürOVG betreffend die Grundlagen der Heranziehung zu öffentlichen Abgaben und Kosten, insbesondere bezüglich der Beitragserhebung.

Hierzu ist anzumerken: Ein Vorrang öffentlicher Interessen mag noch dort erkennbar sein, wo ein bisher nicht erschlossenes Grundstück durch eine kommunale Infrastrukturbaumaßnahme erschlossen und damit erst bebaubar wird (Herstellung, Anschaffung). Hier ist zumindest bereits vom Ansatz her ersichtlich, daß auch die zu Beiträgen herangezogenen Bürger einen auf der Hand liegenden Vorteil durch die den Abgaben zugrundeliegenden Baumaßnahme und damit durch die öffentliche Hand verausgabten Kosten haben.

Anders stellt es sich dar, wenn eine bereits vorhandene Anlage durch eine Ausbaumaßnahme betroffen ist (Erweiterung, Verbesserung, Erneuerung). Hier können zweifelsfrei nur dann Beiträge erhoben werden, wenn im Ergebnis der Baumaßnahme dem Grundstückseigentümer besondere, grundstücksbezogene, dauerhafte, wirtschaftliche Vorteile (z.B. in Form einer besseren Erreichbarkeit ihrer Grundstücke) geboten werden. Desweiteren müssen die Baumaßnahmen geeignet sein, zumindest den Gebrauchswert der Grundstücke positiv zu beeinflussen. Von einer Erhöhung des Verkehrswertes und damit insbesondere auch der Beleihbarkeit des Grundstückes kann bei derartigen Ausbaumaßnahmen nicht ausgegangen werden.

Der Ausbaubeitrag ist in diesen Fällen demnach eine Abgabe, der auf der Gegenseite zumindest kein meßbaren und realisierbaren Wertzuwachs gegenübersteht und kommt deshalb in seiner Wirkung einer zusätzlichen Besteuerung gleich. Für diese Art einer Abgabe muß den Betroffenen allerdings umfassender Rechtsschutz zur Verfügung stehen, einschließlich des vorläufigen Rechtsschutzes. Dies gilt insbesondere dann, wenn das betroffene Grundstück die wirtschaftliche Grundlage der persönlichen Lebensführung des Grundstückseigentümers bildet (selbstgenutztes Grundstück). Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Betroffenen neben den Ausbaubeiträgen mit weiteren öffentlichen Abgaben zu rechnen haben, die in der Summe die persönliche Lebensführung gefährden könnten. Dies wird auch nicht dadurch gemindert, daß in geeigneten Fällen Beiträge gestundet, verrentet oder verratet werden können. In allen Fällen muß der Beitrag gezahlt werden (zum Teil mit Zinsen). Hinzu kommt, daß die Beitragsschuld als öffentliche Last auf den Grundstück ruht und somit eine erhebliche Minderung der Beleihungsfähigkeit der Grundstücke eintritt. Aus diesen Darlegungen ergibt sich, daß es wünschenswert gewesen wäre, wenn das ThürOVG den vorläufigen Rechtsschutz differenzierter bewertet hätte.

Die letzten Monate zeigen, daß die Verwaltungsgerichte konsequent nach diesen Leitsätzen des OVG Anträge nach § 80 (5) VwGO bewerten und diese somit in der Regel ablehnen. Andererseits zeigt sich, daß eine Vielzahl der Betroffenen die Rechtsmittelverfahren nicht weiterführen, wenn sie zunächst zur Zahlung der Gebühren- und Beitragsschuld veranlaßt wurden. Auch ist eine Tendenz zu beobachten, daß sich nunmehr die Hauptsacheverfahren unverhältnismäßig lang hinziehen. Aus Sicht der öffentlichen Hand ist nunmehr eine Eilbedürftigkeit für eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht mehr gegeben, da die Schuld zunächst bezahlt wurde.

 

1.8. Normenkontrollverfahren

Auch ohne durch einen Beitrags- und Gebührenbescheid bereits betroffen zu sein, hat der Bürger die Möglichkeit, in einem einstufigen Verfahren vor dem ThürOVG die Beitrags- und Gebührensatzung, die ihn betreffen könnte, auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht überprüfen zu lassen (§ 47 VwGO, § 4 ThürAGVwGO).

Den Antrag auf ein Normenkontrollverfahren kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend machen kann, durch die Rechtsnorm oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen (§ 47 (2) VwGO).

In einem solchen Verfahren prüft das OVG auch, ob die Satzung gegen Gesetze und Verordnungen des Bundes und des Landes verstößt. Wenn dies der Fall ist, ist die Satzung nichtig und kann nicht Grundlage für die Erhebung von Gebühren und Beiträgen sein. Vor dem OVG besteht Anwaltszwang, d.h., der Kläger muß sich durch einen Rechtsanwalt vor Gericht vertreten lassen. Wenn der Kläger vor Gericht unterliegt, muß er die Kosten für das Verfahren tragen.

 

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Kommunalpolitisches Forum Thüringen e.V.


Bürgerinitiative gegen überhöhte Kommunalabgaben im Landkreis Ludwigslust e.V.
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