Wie korrupt ist Deutschland?
Experten: Gesellschaft von Schiebereien durchzogen / Forderung nach
Transparenz
Berlin (EB/dpa) Spendensumpf bei der Kölner SPD, Ärzteskandal
in Bayern und Niedersachsen, Bestechungsprozess bei der Bahn - wie korrupt
ist Deutschland? Experten meinen: Die Kungelei frisst sich seit Jahren wie
Rost in die deutsche Gesellschaft. Sie fordern mehr Transparenz.
Die jüngsten Skandale belegen, was einige Strafverfolger und Experten
bereits seit Jahren behaupten: Korruption sei in Deutschland ähnlich wie
die Drogenkriminalität ein "Kontrolldelikt" geworden, so der frühere
BKA-Chef Hans-Ludwig Zachert. Das bedeutet, dass überall etwas gefunden
wird, wenn man nur ausreichend sucht. Zachert: "Die Korruption lässt
sich mit Rost vergleichen, der sich immer tiefer in die deutsche
Gesellschaft frisst."
Nach Auffassung führender Manager wie des Frankfurter Flughafenchefs
Wilhelm Bender gefährdet die Korruption mittlerweile den
Investitionsstandort Deutschland. Schriftlich bestätigt das die
Organisation "Transparency International" (TI) mit ihrem jährlich
erscheinenden Korruptionswahrnehmungsindex. Aus der Sicht der befragten
Manager ist das Heimatland preußischer Beamtentugenden in den vergangenen
Jahren kontinuierlich abgesunken und liegt weltweit in Sachen
Korruptionsfestigkeit nur noch im Mittelfeld.
Experten mahnen daher eine politische Initiative für Transparenz an.
Äußerst hilfreich wäre dabei nach Ansicht von TI ein Einsichtsrecht für
Jedermann in die Akten der Behörden. In den weitgehend korruptionsfreien
skandinavischen Ländern sind solche Rechte längst Gesetz.
Keine Einigung über schwarze Liste
Ein Vorschlag, den auch der Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang
Schaupensteiner unterstützt. "Der Todfeind von Korruption ist die
Transparenz", lautet einer seiner Merksätze. Zunehmend verbittert
nehme er zur Kenntnis, dass sich die rot-grüne Bundesregierung immer noch
nicht auf die Einrichtung einer bundesweiten "schwarzen Liste"
verständigt habe, mit deren Hilfe Unternehmen, die bestechen oder sich
bestechen lassen, von weiteren öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen
werden könnten. Schaupensteiner fordert ein bundesweites
Korruptionsregister, auf das jede öffentliche Verwaltung zugreifen können
müsste. Es sei ein Unding, dass deutsche Staatsdiener nach eigenem
Ermessen darüber entscheiden könnten, ob sie einen Korruptions-Verdacht
der zuständigen Staatsanwaltschaft mitteilen oder nicht, so der
Oberstaatsanwalt.
Der Medizin-Sektor sei außerordentlich anfällig für Korruption, sagt
Schaupensteiner mit Blick auf das Münchner Großverfahren gegen Klinikärzte.
"Dort gibt es seit Jahrzehnten einen kontrollfreien Raum, in dem es
sich beide Seiten haben gut gehen lassen." Einfalltor für die
Bestechung von Medizinern sei die "über Jahre hinweg geförderte Übung,
die Industrie die Forschung bezahlen zu lassen".
Geschäfte aus dem Geldkoffer
Die TI verlangt weiterhin mehr Durchsichtigkeit bei Auftragsvergaben.
"Die Vorschriften für Ausschreibung und Vergabe öffentlicher Aufträge
werden oft nicht streng eingehalten", kritisiert der Vorsitzende der
deutschen Sektion, Dieter Biallas. Schiebereien wie in Köln gebe es mit
großer Wahrscheinlichkeit auch anderswo. In der Vergangenheit seien
solche Fälle aber oft nicht hart genug verfolgt worden. So hätten die
Rechnungshöfe immer wieder Missstände beanstandet, ohne dass etwas
passiert sei, sagt Biallas.
Er fordert außerdem strenge Obergrenzen bei der Parteienfinanzierung.
So solle eine Partei von einem Spender nicht mehr als 50 000 Euro erhalten
dürfen, Mandatsträger oder Kandidat nicht mehr als 25 000 Euro.
Barspenden sollten rigoros eingeschränkt und "Geldkoffer-Geschäfte"
verboten werden. Trotz der jüngsten Skandale gibt es nach Angaben von
Biallas keine Beweise für eine Zunahme von Korruption in Deutschland.
Dies sei auch kaum zu belegen. Die Länder-Liste von "Transparency
International" spiegele aber die Wahrnehmung der befragten Personen
wider, wie stark in einem Land Korruption verbreitet ist.
Eine fortschrittliche Korruptionsbekämpfung hat inzwischen die von
regelmäßigen Affären geprüfte Deutsche Bahn AG installiert. Mitwisser
können sich auch anonym an zwei externe Rechtsanwälte wenden. Bislang
lieferte dieses Modell nach Angaben der Bahn Stoff für bundesweit 32
Ermittlungsverfahren, zehn weitere Strafanzeigen seien in Vorbereitung.
Zum Beispiel
Kölner SPD tief im Sumpf - Spur führt in die Schweiz
Berlin/Köln (ddp) Die SPD steckt noch tiefer im Spendensumpf
als bislang angenommen. Statt der zunächst vermuteten 261 000 Euro (511
000 Mark) sollen die Kölner Sozialdemokraten zweifelhafte Spenden in
einer Gesamthöhe von 424 000 Euro (830 000 Mark) erhalten haben. Diese
Summe habe der Ex-SPD-Fraktionschef der Kölner SPD, Norbert Rüther, in
seiner Vernehmung genannt, teilte die Kölner Staatsanwaltschaft gestern
mit. Rüther, der als Schlüsselfigur im Skandal gilt, habe die
verschiedenen Geldgeber der 424 000 Euro genannt, hieß es. Ebenso soll er
sich zu der Verwendung der Spenden geäußert haben, wobei es auch um
"schwarze Kassen", Stückelung von Geldbeträgen sowie das
Ausstellen falscher Spendenquittungen gegangen sei. Die Staatsanwaltschaft
müsse nun ermitteln, ob die Spenden im Sinne von Korruption mit dem Bau
der MVA zusammenhängen. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtete,
die Kölner SPD habe laut Justizkreisen 36 000 Euro vom Gummersbacher
Anlagenbauer Steinmüller aus einer schwarzen Kasse in der Schweiz
erhalten. Steinmüller hatte den Bau des Kölner Müllofens realisiert.
Nach dem Willen der SPD soll ihr Generalsekretär Franz Müntefering am
21. März vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss zur Kölner Spendenaffäre
aussagen. Die Union hält dies für verfrüht.
Weitere Müllfirmen sollen Politiker bestochen haben
Hamburg (dpa) Die Müllbranche rückt im Zuge des Kölner
SPD-Spendenskandals immer weiter ins Zwielicht. Die Konzerne Preussag und
ABB sollen nach Darstellung eines Insiders in früheren Jahren schwarze
Kassen unterhalten und Politiker bestochen haben. Der
Maschinenbauingenieur Hans Reimer sagte der Wochenzeitung "Die
Zeit", die Preussag habe "in Genf eine Clearingstelle zur
Umverteilung von Schwarzgeldern unterhalten". Reimer selbst habe mit
seiner inzwischen verkauften Firma Göpfert, Reimer & Partner die Hälfte
der deutschen Müllverbrennungsanlagen mitgeplant. Über diese
Clearingstelle seien "im Jahr so ungefähr 20 Millionen Mark"
bewegt worden. Die früher zum Preussag-Konzern gehörende Firma Noell
baut Müllentsorgungsanlagen. Der ABB-Konzern habe ebenfalls
Clearingstellen gehabt. Nach Reimers Worten gehören direkte und indirekte
Korruption zum täglichen Geschäft der Abfallindustrie. "In der Müllbranche
wurde dafür ein neuer Begriff geprägt: Beatmung." Dafür seien alle
Volksparteien empfänglich.
Neuer Ärzteskandal in Niedersachsen
Hamburg (ddp) Neben dem Bestechungsskandal in deutschen Krankenhäusern
gibt es laut "Stern" einen weiteren Ärzteskandal in
Niedersachsen. Die Untersuchungsgruppe Falschabrechnung der AOK und einige
andere Krankenkassen in Niedersachsen seien dem Betrug, der Tausende von
Patienten betrifft, auf der Spur, berichtet das Magazin. Demnach
kassierten Chirurgen bei Gelenkoperationen mit Lasergeräten bei den
Kassen als auch verbotenerweise bei den Patienten ab. Bisher seien zwei
niedersächsische Chirurgen wegen Betrugs angeklagt, gegen drei weitere
laufen den Angaben zufolge Strafanzeigen. Ende April beginne der erste
Prozess gegen einen Arzt aus Celle, dem 2000 Betrugsfälle zur Last gelegt
werden. Insgesamt hätten die Ermittler 20 Mediziner im Visier. Es werde
befürchtet, dass noch weitere Chirurgen im gesamten Bundesgebiet falsch
abgerechnet hätten.
Finanzielle Entgleisungen: Bahn-Manager hinter Gittern
Halle (ddp) Der Korruptionsprozess gegen den Leipziger
Bahnmanager Hermann R. hat eine überraschende Wende genommen.
Staatsanwaltschaft und Verteidigung einigten sich gestern auf eine
viereinhalbjährige Haftstrafe für den 54-Jährigen. Darüber hinaus soll
er 250 000 Euro zahlen. Das endgültige Urteil fällt heute das
Landgericht Halle. Die Einigung war zustande gekommen, weil der Angeklagte
gestanden hatte. Er soll u.a. einem Unternehmen Vorschläge gemacht haben,
wie es seine Angebote für die Bahn besonders günstig gestalten könne
und dafür 200 000 Mark erhalten haben.
|