SVZ, Donnerstag, 14. März 2002

Wie korrupt ist Deutschland?

 

Experten: Gesellschaft von Schiebereien durchzogen / Forderung nach Transparenz

Berlin (EB/dpa) Spendensumpf bei der Kölner SPD, Ärzteskandal in Bayern und Niedersachsen, Bestechungsprozess bei der Bahn - wie korrupt ist Deutschland? Experten meinen: Die Kungelei frisst sich seit Jahren wie Rost in die deutsche Gesellschaft. Sie fordern mehr Transparenz.

Die jüngsten Skandale belegen, was einige Strafverfolger und Experten bereits seit Jahren behaupten: Korruption sei in Deutschland ähnlich wie die Drogenkriminalität ein "Kontrolldelikt" geworden, so der frühere BKA-Chef Hans-Ludwig Zachert. Das bedeutet, dass überall etwas gefunden wird, wenn man nur ausreichend sucht. Zachert: "Die Korruption lässt sich mit Rost vergleichen, der sich immer tiefer in die deutsche Gesellschaft frisst."

Nach Auffassung führender Manager wie des Frankfurter Flughafenchefs Wilhelm Bender gefährdet die Korruption mittlerweile den Investitionsstandort Deutschland. Schriftlich bestätigt das die Organisation "Transparency International" (TI) mit ihrem jährlich erscheinenden Korruptionswahrnehmungsindex. Aus der Sicht der befragten Manager ist das Heimatland preußischer Beamtentugenden in den vergangenen Jahren kontinuierlich abgesunken und liegt weltweit in Sachen Korruptionsfestigkeit nur noch im Mittelfeld.

Experten mahnen daher eine politische Initiative für Transparenz an. Äußerst hilfreich wäre dabei nach Ansicht von TI ein Einsichtsrecht für Jedermann in die Akten der Behörden. In den weitgehend korruptionsfreien skandinavischen Ländern sind solche Rechte längst Gesetz.

 

Keine Einigung über schwarze Liste

Ein Vorschlag, den auch der Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner unterstützt. "Der Todfeind von Korruption ist die Transparenz", lautet einer seiner Merksätze. Zunehmend verbittert nehme er zur Kenntnis, dass sich die rot-grüne Bundesregierung immer noch nicht auf die Einrichtung einer bundesweiten "schwarzen Liste" verständigt habe, mit deren Hilfe Unternehmen, die bestechen oder sich bestechen lassen, von weiteren öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden könnten. Schaupensteiner fordert ein bundesweites Korruptionsregister, auf das jede öffentliche Verwaltung zugreifen können müsste. Es sei ein Unding, dass deutsche Staatsdiener nach eigenem Ermessen darüber entscheiden könnten, ob sie einen Korruptions-Verdacht der zuständigen Staatsanwaltschaft mitteilen oder nicht, so der Oberstaatsanwalt.

Der Medizin-Sektor sei außerordentlich anfällig für Korruption, sagt Schaupensteiner mit Blick auf das Münchner Großverfahren gegen Klinikärzte. "Dort gibt es seit Jahrzehnten einen kontrollfreien Raum, in dem es sich beide Seiten haben gut gehen lassen." Einfalltor für die Bestechung von Medizinern sei die "über Jahre hinweg geförderte Übung, die Industrie die Forschung bezahlen zu lassen".

 

Geschäfte aus dem Geldkoffer

Die TI verlangt weiterhin mehr Durchsichtigkeit bei Auftragsvergaben. "Die Vorschriften für Ausschreibung und Vergabe öffentlicher Aufträge werden oft nicht streng eingehalten", kritisiert der Vorsitzende der deutschen Sektion, Dieter Biallas. Schiebereien wie in Köln gebe es mit großer Wahrscheinlichkeit auch anderswo. In der Vergangenheit seien solche Fälle aber oft nicht hart genug verfolgt worden. So hätten die Rechnungshöfe immer wieder Missstände beanstandet, ohne dass etwas passiert sei, sagt Biallas.

Er fordert außerdem strenge Obergrenzen bei der Parteienfinanzierung. So solle eine Partei von einem Spender nicht mehr als 50 000 Euro erhalten dürfen, Mandatsträger oder Kandidat nicht mehr als 25 000 Euro. Barspenden sollten rigoros eingeschränkt und "Geldkoffer-Geschäfte" verboten werden. Trotz der jüngsten Skandale gibt es nach Angaben von Biallas keine Beweise für eine Zunahme von Korruption in Deutschland. Dies sei auch kaum zu belegen. Die Länder-Liste von "Transparency International" spiegele aber die Wahrnehmung der befragten Personen wider, wie stark in einem Land Korruption verbreitet ist.

Eine fortschrittliche Korruptionsbekämpfung hat inzwischen die von regelmäßigen Affären geprüfte Deutsche Bahn AG installiert. Mitwisser können sich auch anonym an zwei externe Rechtsanwälte wenden. Bislang lieferte dieses Modell nach Angaben der Bahn Stoff für bundesweit 32 Ermittlungsverfahren, zehn weitere Strafanzeigen seien in Vorbereitung.

 

Zum Beispiel

 

Kölner SPD tief im Sumpf - Spur führt in die Schweiz

Berlin/Köln (ddp) Die SPD steckt noch tiefer im Spendensumpf als bislang angenommen. Statt der zunächst vermuteten 261 000 Euro (511 000 Mark) sollen die Kölner Sozialdemokraten zweifelhafte Spenden in einer Gesamthöhe von 424 000 Euro (830 000 Mark) erhalten haben. Diese Summe habe der Ex-SPD-Fraktionschef der Kölner SPD, Norbert Rüther, in seiner Vernehmung genannt, teilte die Kölner Staatsanwaltschaft gestern mit. Rüther, der als Schlüsselfigur im Skandal gilt, habe die verschiedenen Geldgeber der 424 000 Euro genannt, hieß es. Ebenso soll er sich zu der Verwendung der Spenden geäußert haben, wobei es auch um "schwarze Kassen", Stückelung von Geldbeträgen sowie das Ausstellen falscher Spendenquittungen gegangen sei. Die Staatsanwaltschaft müsse nun ermitteln, ob die Spenden im Sinne von Korruption mit dem Bau der MVA zusammenhängen. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtete, die Kölner SPD habe laut Justizkreisen 36 000 Euro vom Gummersbacher Anlagenbauer Steinmüller aus einer schwarzen Kasse in der Schweiz erhalten. Steinmüller hatte den Bau des Kölner Müllofens realisiert. Nach dem Willen der SPD soll ihr Generalsekretär Franz Müntefering am 21. März vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss zur Kölner Spendenaffäre aussagen. Die Union hält dies für verfrüht.

 

Weitere Müllfirmen sollen Politiker bestochen haben

Hamburg (dpa) Die Müllbranche rückt im Zuge des Kölner SPD-Spendenskandals immer weiter ins Zwielicht. Die Konzerne Preussag und ABB sollen nach Darstellung eines Insiders in früheren Jahren schwarze Kassen unterhalten und Politiker bestochen haben. Der Maschinenbauingenieur Hans Reimer sagte der Wochenzeitung "Die Zeit", die Preussag habe "in Genf eine Clearingstelle zur Umverteilung von Schwarzgeldern unterhalten". Reimer selbst habe mit seiner inzwischen verkauften Firma Göpfert, Reimer & Partner die Hälfte der deutschen Müllverbrennungsanlagen mitgeplant. Über diese Clearingstelle seien "im Jahr so ungefähr 20 Millionen Mark" bewegt worden. Die früher zum Preussag-Konzern gehörende Firma Noell baut Müllentsorgungsanlagen. Der ABB-Konzern habe ebenfalls Clearingstellen gehabt. Nach Reimers Worten gehören direkte und indirekte Korruption zum täglichen Geschäft der Abfallindustrie. "In der Müllbranche wurde dafür ein neuer Begriff geprägt: Beatmung." Dafür seien alle Volksparteien empfänglich.

 

Neuer Ärzteskandal in Niedersachsen

Hamburg (ddp) Neben dem Bestechungsskandal in deutschen Krankenhäusern gibt es laut "Stern" einen weiteren Ärzteskandal in Niedersachsen. Die Untersuchungsgruppe Falschabrechnung der AOK und einige andere Krankenkassen in Niedersachsen seien dem Betrug, der Tausende von Patienten betrifft, auf der Spur, berichtet das Magazin. Demnach kassierten Chirurgen bei Gelenkoperationen mit Lasergeräten bei den Kassen als auch verbotenerweise bei den Patienten ab. Bisher seien zwei niedersächsische Chirurgen wegen Betrugs angeklagt, gegen drei weitere laufen den Angaben zufolge Strafanzeigen. Ende April beginne der erste Prozess gegen einen Arzt aus Celle, dem 2000 Betrugsfälle zur Last gelegt werden. Insgesamt hätten die Ermittler 20 Mediziner im Visier. Es werde befürchtet, dass noch weitere Chirurgen im gesamten Bundesgebiet falsch abgerechnet hätten.

 

Finanzielle Entgleisungen: Bahn-Manager hinter Gittern

Halle (ddp) Der Korruptionsprozess gegen den Leipziger Bahnmanager Hermann R. hat eine überraschende Wende genommen. Staatsanwaltschaft und Verteidigung einigten sich gestern auf eine viereinhalbjährige Haftstrafe für den 54-Jährigen. Darüber hinaus soll er 250 000 Euro zahlen. Das endgültige Urteil fällt heute das Landgericht Halle. Die Einigung war zustande gekommen, weil der Angeklagte gestanden hatte. Er soll u.a. einem Unternehmen Vorschläge gemacht haben, wie es seine Angebote für die Bahn besonders günstig gestalten könne und dafür 200 000 Mark erhalten haben.

 


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